Was hat Recruiting mit Dating zu tun?

Wir mussten uns lange Zeit keine Gedanken über Bewerbungen oder Stellenanzeigen machen, da auf ein Inserat oft unzählige Bewerber:innen reagierten. Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Inwiefern haben wir, die wir unsere offenen Stellen besetzen möchten, uns mitverändert? Kaum – stelle ich fest. Wir gehen genauso die alten Pfade und beklagen uns über den Fachkräftemangel und stören uns daran, dass heute niemand auf das Recruiting von gestern reagiert.

An dieser Stelle macht der Vergleich zum Dating Sinn. Vorausgesetzt, uns ist klar, dass ein Arbeitsverhältnis ein „Verhältnis“ ist. Also eine Beziehung, die Menschen miteinander eingehen. Nicht eine Person und eine Firma, sondern eine Person und in der Regel der/ die Vorgesetze. Stellen wir Recruiting und Dating mal nebeneinander und staunt über die Erkenntnisse.

Recruiting

Wenn wir heute eine/n Mitarbeiter:in verlieren, gehen wir grundsätzlich auf unsere Personalabteilung zu und möchten baldigen Ersatz. Die Führungskraft schildert, welche Qualifikationen und Anforderungen unabdingbar sind und welche weiteren Präferenzen zu beachten sind (Schulabschluss, Ausbildung, Berufserfahrung, …). Personaler schaut im Bewerberpool und schaltet, falls nötig ein Inserat, um neue Bewerber:innen zu erreichen.

Bedeutet im Dating

Die Freundin hat den Sohn verlassen. Dieser wendet sich an seine Mutter, die ihm helfen soll, eine neue Freundin zu finden. Er schildert seiner Mutter welche Vorstellung und Vorlieben er hat und was unabdingbar für eine neue Beziehung ist. Die Mutter fragt im Bekanntenkreis, ob jemand eine ledige Tochter hat und schaltet, falls nötig eine Kontaktanzeige mit den Wünschen des Sohnes.

Recruiting

Sobald Bewerbungen eintreffen, beginnt in der Personalabteilung das Aussortieren von scheinbar ungeeigneten Kandidaten:innen. Der Führungskraft werden nur die Top-Kandidaten:innen vorgelegt. Sollte die Führungskraft an der einen oder anderen Bewerbung Interesse zeigen, findet in der Regel ein erstes „Abklopfen“ der Bewerber:innen mit den Personalern statt. Die Essenz daraus (üblicherweise, wenn es echt gut läuft, 2 oder 3 Bewerber:innen), wird zu einem Zweitgespräch mit der Führungskraft und dem Personaler eingeladen.

Bedeutet im Dating

Sobald die ersten Singledamen sich auf das Inserat des Sohnes bewerben, sortiert die Mama schon mal vor, denn sie kennt ja ihren Sohn und weiß ja was gut für ihn ist. Dem Sohn werden dann nur die allerbesten (aus Sicht der Mutter) vorgelegt. Die Damen, an denen der Sohn dann interessiert ist, werden zu einem netten Kaffeeklatsch mit Mama eingeladen (nur mit Mama). Wenn nach dem ersten Kaffee die Mama überzeugt ist, dass die Dame was für ihren Sohn ist, dann darf der Sohn sie auch kennenlernen. Natürlich bei einem weiteren Kaffeeklatsch, bei dem die Mama auch wieder dabei ist.

Recruiting

In diesem zweiten Gespräch zwischen Personaler, Führungskraft und Bewerber:in, stellt die Führungskraft oder Bewerber*in evtl. fest, dass die Chemie überhaupt nicht stimmt und eine Zusammenarbeit aus menschlicher Sicht undenkbar ist. Wir haben erst aussortiert, dann ein erstes Gespräch geführt und nun das zweite. Erfolglose Zeitverschwendung von allen Beteiligten, nenne ich das immer (alle haben sich gründlich vorbereitet). Hätten wir die Führungskraft in einem kurzen Talk mit dem Bewerber:in sprechen lassen, hätten die beiden direkt feststellen können, ob das Sinn macht oder nicht. Stattdessen sortieren Personaler anhand von Qualifikation und Berufserfahrung aus. Ob jemand ein Super-Typ für die Abteilung gewesen wäre, finden wir so nie heraus.

Bedeutet im Dating

Bei diesem zweiten Kaffeeklatsch finden Sohn und Interessentin heraus, dass sie zwischenmenschlich null harmonieren. Der Mutter sagt die Kandidatin wohl mehr zu als dem Sohn. Zeitverschwendung von allen Beteiligten. Hätte der Sohn das erste Kennenlernen mit der Dame gehabt, hätten die beiden früher erkannt, dass es nicht matcht.

Wir gehen im Recruiting immer noch einen Weg, den wir im Dating so nie gehen würden.

Sollen wir denn alle Bewerber:innen kennenlernen, die sich auf ein Inserat melden? – Ich sage JA. Die Zeiten in denen unzählige Bewerbungen auf ein Inserat eintrudelten sind lange vorbei. Wir haben den „Coffee-Talk“ implementiert, um unser Recruiting, einem Dating gleichzustellen, denn wir sind uns bewusst, dass wir ein Verhältnis zwischen Menschen eingehen wollen. In unserem Coffee-Talk wird der Bewerber *in mit der direkten Führungskraft (nicht mit Personaler*innen) in einen kurzen unverbindlichen Austausch gehen. Finden wir heraus, ob wir menschlich zueinander passen und ob wir in ähnlicher Weise ticken.

Auf unseren „Coffee-Talk“ muss sich niemand vorbereiten. Bewerber:innen können dabei im Auto unterwegs sein oder in der U-Bahn sitzen. Keine Jobinterviews und Stärken/ Schwächen-Fragen. „Wer bist Du und wer sind wir?“ – Diese Fragen müssen nach den max. 20 Min. klar sein. Und dann entscheidet ein super Bauchgefühl, ob ein weiteres Gespräch Sinn macht oder nicht. Und die dann folgenden Gespräche sind von einer weitaus wertvolleren Qualität als bisherige „Vorstellungsgespräche“.

• Tipp: Konfrontiere mögliche Bewerber nicht weiter mit einem Inserat, welches mit unzähligen Anforderungen gespickt ist!
• Tipp: Ermögliche Deinen Bewerber*innen eine schnelle Kontaktaufnahme ohne komplexe Eingabemasken mit vielen Pflichtfeldern!
• Tipp: Deine Bewerber*innen möchten nicht mit dem Azubi aus der Personalabteilung oder dem Personaler sprechen, sondern mit den Führungskräften, die Personal suchen!